Am Freitag, den 24. Oktober 2025 fand an der LMU München ein Workshop zum Thema „Kirchenrecht und Migration“ statt, der zugleich als Auftaktveranstaltung für das Zertifikatsprogramm „Kirchenrecht Interkonfessionell“ diente. Ziel war es, sich aus rechtlicher Perspektive mit dem Phänomen der Migration von christlichen Gläubigen nach Deutschland und ihrer Auswirkung auf kirchliche Strukturen zu befassen. Migration assoziieren viele mit Muslimen. Dass auch Mitglieder christlicher Kirchen nach Deutschland migrieren, wird weniger gesehen, aber stellt das evangelische, katholische und orthodoxe Kirchenrecht vor Herausforderungen. Organisieren sich die immigrierten Gläubigen selbst als Verein oder werden sie in die bestehenden amtlichen Strukturen eingegliedert? Wie ist das Verhältnis zu den bestehenden Gemeinden? Hat der Zentralisierungsgrad der jeweiligen Kirche Auswirkungen auf ihren Umgang mit Migration?
Veranstaltet wurde der Workshop von der Programmleitung des genannten Zertifikatsprogramms Prof. Dr. Dr. Burkhard Berkmann, Akad. Oberrat Dr. Dr. Anargyros Anapliotis und Prof. Dr. Kristin Weingart. Gastgeber war die Ausbildungseinrichtung für Orthodoxe Theologie, moderiert wurde die Veranstaltung von Frau Prof. Dr. Kristin Weingart und Dr. Lukas Brechtel. In Präsenz und via Zoom nahmen insgesamt etwa 25 Personen teil.
Zu Beginn des Workshops zeigte Prof. Dr. Dr. Burkhard Berkmann die Bedeutung von Migration für die katholische Kirche in Deutschland auf: 16,5% der Katholiken haben hierzulande einen Migrationshintergrund, in der Erzdiözese Hamburg sogar 36,7%. Je nach Bedarf sehe das katholische Kirchenrecht unterschiedliche pastorale Strukturen vor wie etwa schlichte Seelsorgestellen, Missionen oder Personalpfarreien. Angehörigen anderer Konfessionen würden Kirchengebäude zur Verfügung gestellt oder bei Notwendigkeit Sakramente gespendet. Immigrierten aller Religionen biete die Kirche soziale Dienste an.
Der erste Vortrag von Dr. Dr. Anargyros Anapliotis hatte die „Kirchenrechtliche Struktur orthodoxer Migrationsdiözesen in Deutschland“ zum Thema. Hierbei legte Anapliotis u.a. dar, wie orthodoxe Kirchen in der Diaspora ‒ Deutschland bildet hierbei eines von zwölf Diasporagebieten ‒ auf panorthodoxer Ebene in Bischofskonferenzen zusammengefasst und organisiert sind. Dabei problematisierte er u.a. die wenigen Kompetenzen, die diesen Bischofskonferenzen zukommen und sprach sich für größere Eigenständigkeit der Diasporagebiete aus. Darauf aufbauend zeigte er eine Übersicht der verschiedenen orthodoxen Diözesen in Deutschland und gab einige Einblicke in die jeweiligen Verhältnisse. Bei dem Vortrag wurde nochmal klar: Die orthodoxe Kirche in Deutschland ist – im Unterschied zur katholischen oder evangelischen Kirche – Großteils eben selbst „Migrationskirche“, was natürlich eine ganz andere Herangehensweise an das Thema mit sich bringt.
Im zweiten Vortrag befasste sich Prof. Dr. Arno Schilberg mit der „kirchenrechtliche[n] Struktur Internationaler Gemeinden in der Evangelischen Kirche in Deutschland“. Die „internationalen Gemeinden“ bezeichnete er dabei als Gemeinden, deren Mitglieder in Deutschland heimisch sind, sich zugleich aber auch mit anderen Regionen der Welt verbunden fühlen und die daher zu Bindegliedern zwischen verschiedenen Nationalitäten und zu Brückenbauern einer weltweiten Christenheit würden. Ihr Gegenüber seien einheimische Gemeinden, die sich interkulturell öffnen, wodurch eine Begegnung und gegenseitige Stärkung erwachsen kann. Schilberg stellte verschiedene strukturelle Grundmodelle im Bereich des evangelischen Kirchenrechts dar, wies aber auch auf die bleibende Bedürftigkeit nach einer Weiterentwicklung in der Suche nach einer passenden Struktur und Verknüpfung mit bereits existierenden Gemeinden hin. Auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie etwa das kooperative Nebeneinander. Schließlich stellte er anhand der ev. Kirche in Baden und der ev. Kirche im Rheinland konkrete Gemeindeformen dar, etwa die drei Formen in Baden: Personalgemeinde, Regionalgemeinde und Zuordnungsgemeinde.
Im Anschluss an den zweiten Vortrag fand als letzter Programmpunkt des Vormittags die offizielle Präsentation des neuen Zertifikatsstudiums „Kirchenrecht Interkonfessionell“ statt, zu der einige geladene Gäste erschienen waren.
Der erste Vortrag nach der Mittagspause behandelte das Thema „Organisationsformen muslimischer Migrationsgemeinden in Deutschland“ und war von Prof. Dr. Dr. Mathias Rohe verfasst worden, der aus gesundheitlichen Gründen jedoch verhindert war, sodass sein Manuskript verlesen wurde. Rohe betrachtete unter anderem verschiedene Ausgestaltungsformen der Etablierung von muslimischen Gemeinden und Institutionen in Deutschland. Hierbei hob er zunächst hervor, dass die 5,5 Millionen Muslime in Deutschland auch ein Recht auf die kollektive Ausübung der Religionsfreiheit haben, wobei eine Fülle religiöser Anliegen sich eben nur in organisierter Form umsetzen lässt. Die damit verbunden organisatorischen Erfordernisse bedürfen jedoch je nach Form personeller und finanzieller Ressourcen. Insgesamt lassen sich jedoch verschiedene Organisationsformen finden, sodass es neben der Körperschaft des öffentlichen Rechts mit ihren umfassenden Erfordernissen auch weitere, weniger aufwändigere Formen, wie etwa die sogenannten „Schuren“ gibt. Einen weiteren Schwerpunkt legte Rohe auf mögliche institutionelle Verbindungen zum Ausland, die zu einem Problem werden können, wenn sie von politischen Interessen überlagert werden. Anhand des Vortrags entstand u.a. eine gemeinsame Diskussion darüber, was überhaupt Inklusion meint.
Im Anschluss behandelte Frau Prof. Dr. Christiane von Bary das Thema „Migranten bringen ihr Recht mit. Anwendung religiös geprägten Rechts durch deutsche Gerichte“. Anschaulich erläuterte sie hierbei, wie, nach welchen Grundsätzen und warum ausländisches Recht („territoriale Anknüpfung“) und darüber vermittelt auch religiöses Recht („personale Anknüpfung“) durch deutsche Gerichte angewendet wird. Grund für die Anwendung ausländischen Rechts ist hierbei etwa die Förderung desinternationalen Entscheidungseinklangs und der Schutz von Erwartungen der Beteiligten. Dabei verwies das deutsche Recht früher grundsätzlich auf das Recht der Staatsangehörigkeit, heute kommt es für die Bestimmung des einschlägigen Rechts aber immer mehr auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Migranten an. Ferner legte sie dar, wie die Anwendung des ausländischen Rechts Grenzen findet, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts („ordre public“) – wie etwa den Grund- und Menschenrechten – unvereinbar ist. Nach der Darstellung der Grundlagen trug sie einige eherechtliche Anwendungsbeispiele aus der Judikatur (sowohl mit Bezug auf islamisches Recht, als auch auf katholisches Kirchenrecht) vor und regte hiermit die anschließende Diskussion an. So wies sie anhand eines Falles etwa auf die erbrechtlichen Folgen einer im Ausland geschlossenen polygamen Ehe hin.
Zum Abschluss kam mit einem Vortrag von Frau Ass. Prof. Dr. Astrid Mattes-Zippenfenig auch die sozialwissenschaftliche Dimension nicht zu kurz. Thema des Vortrags waren „Organisationsformen migrantischer Religion in Österreich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive“. Dabei stellte sie u.a. dar, was mit dem Begriff „migrantische Religion“ gemeint ist und inwiefern sich in Österreich eine Politisierung von Religion zeige. Der Fokus lag hierbei auf der Religion des Islam. Ausführlich ging sie dabei u.a. auf die Entwicklungen rund um das „Islamgesetz“ ein. Ausländische Einflüsse auf die Bestellung von Religionsführern, wie sie am Islam kritisiert werden, sind z.B. bei katholischen Bischofsbestellungen üblich. Zum Schluss fragte die Referentin, ob das unter anderen historischen Bedingungen entstandene Anerkennungsmodell pluralitätsfähig ist.
Bericht: Lukas Brechtel