Edition der Quaestionensumme des Honorius von Kent

Aktuelles Forschungsprojekt im Fachbereich Kirchliche Rechtsgeschichte

Die Quaestionensumme (Summa Quaestionum) des Honorius von Kent gehört zu den bedeutendsten Werken der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts florierenden anglo-normannischen Kirchenrechtsschule. Sie wurde zwischen 1188 und 1190 verfasst, wahrscheinlich während Honorius’ Lehrtätigkeit in Paris.

Formal ist die Summa von großer Originalität, da sie die Merkmale einer systematischen Dekretsumme mit der dialektischen Technik von quaestiones verbindet und so einen wesentlichen Beitrag zur Ausprägung der neuartigen Gattung der summa quaestionum decretalium leistete.

Inhaltlich wird ein sehr breites Themenspektrum abgedeckt. Dieses beinhaltet Fragen zum Prozessrecht, zu Simonie und Häresie, zu den sittlichen Voraussetzungen für die Weihe von Priestern, zur Zulässigkeit des Zinsnehmens, zum Status von Leibeigenen sowie zum Ehe- und Naturrecht.

Die Summa wurde offensichtlich als Ergänzung zu Honorius’ zweitem Werk, der Dekretsumme ‘De iure canonico tractaturus’, verfasst. Während die Dekretsumme die zusammenhängende Auslegung des Decretum Gratiani im Rahmen der lectio widerspiegelt, enthält die Quaestionensumme die Fragen, auf deren Grundlage ausgewählte Inhalte der lectio vertieft und diskutiert wurden. Dies geschah nach Auskunft des Incipits der Zwettl-Handschrift immer freitags (fol. 179r: Incipiunt questiones ueneriales).

Das Werk gliedert sich in drei distinctiones, die in tituli und diese wiederum in quaestiones unterteilt sind.

  • t.1 de rescriptis
  • t.2 de restitutione spoliatorum
  • t.3 de notoriis
  • t.4 de occultis
  • t.5 de edictis et contumacia
  • t.6 de excommunicatione
  • t.7 de confessione
  • t.8 de transactione
  • t.9 de sacramento calumpnie
  • t.10 de iuramentis
  • t.11 de accusationibus
  • t.12 de infamia
  • t.13 de purgatione
  • t.14 de testibus

  • t.1 de simonia
  • t.2 de hereticis
  • t.3 de clauibus
  • t.4 de continentia clericorum
  • t.5 de nocturna pollutione
  • t.6 de crimine
  • t.7 de bigamia
  • t.8 de sobrietate
  • t.9 de usuris
  • t.10 si de turpiter acquisitis possit fieri elemosina
  • t.11 de seruis
  • t.12 de electione
  • t.13 de iure patronatus
  • t.14 de ordinatione

  • t.1 de iure naturali
  • t.I de sponsalibus
  • t.II de matrimonio et coniugatis
  • t.III de sponsis
  • t.IV de diuortiis
  • t.V de impedimentis matrimonii
  • t.VI de dispari cultu
  • t.VII de errore
  • t.VIII de spirituali cognatione
  • t.IX de legali cognatione
  • t.X de consanguinitate

Der Text der Summa Quaestionum ist in sechs Handschriften überliefert:

  • P: Paris, Bibliothèque nationale lat. 14591, fol. 50ra–83ra
  • La: Laon, Bibliothèque municipale 371bis, fol. 171ra–176vb (nur D.2)
  • L: Leipzig, Universitätsbibliothek 984, fol. 90ra–109vb
  • Z: Zwettl, Stiftsbibliothek 162, fol. 179ra–213ra
  • B: Bamberg, Staatsbibliothek, Msc. Can. 45 (P. II. 4), fol. 23ra–39va
  • D: Douai, Bibliothèque municipale 640 (584), fol. 1ra–42va

Eine weitere Handschrift – Königsberg, Universitätsbibliothek 21 – ging während des Zweiten Weltkriegs verloren.

Die Überlieferung kann in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die erste Gruppe, die aus den Handschriften Paris, Laon und Leipzig besteht, bietet einen konzisen Text, der dem knappen und manchmal etwas „abgehackt“ wirkenden Stil des Honorius entspricht. Die zweite Gruppe - bestehend aus Zwettl, Bamberg und Douai - enthält eine oft wenig überzeugende Überarbeitung und Glättung des ursprünglichen Textes. Bei der Überarbeitung wurde außerdem systematisch die Compilatio Prima des Bernhard von Pavia, verfasst etwa 1187, verwendet, was in den Handschriften der ersten Gruppe noch nicht der Fall ist.

Link zur Projekthomepage mit Edition von D.2, D.3 t.1 und D.1 t.14 q.15:
honorius-summa-quaestionum.com

Projektleitung und Kontakt

Dr. Niels Becker

Lehrstuhl für Kirchenrecht, insbesondere Verwaltungsrecht, Verkündigungs- und Sakramentenrecht, Vermögensrecht sowie Kirchliche Rechtsgeschichte

Einblicke in die Handschriften der Quaestionensumme

Es folgen einige Beispielseiten aus den Handschriften.

Paris, BnF, latin 14591, fol. 2r

Erste beschriebene Seite des Kodex. Enthalten sind Predigten des Hélinant de Froidmont (Rubrik: Sermo fratris elinandi de ascensione).

Oben alte Signatureinträge (Cd 12 und 412) und eine Federprobe. Unten Stempel der Bibliothèque nationale und Besitzeintrag der Abtei von St. Viktor (Paris) mit der Devise Iesus. maria. S. victor. S. augustinus. Die Ordensgemeinschaft der Viktoriner folgte der Regel des Augustinus.

Paris, BnF, latin 14591, fol. 50r

Beginn der Summa Quaestionum (De questionibus decretalibus tractaturi); die Initiale D fehlt.

Die Handschrift besteht aus vier ursprünglich unabhängigen Teilen, die in St. Viktor im 14. Jahrhundert zusammengebunden wurden. Der zweite Teil, der die Summa Quaestionum enthält (fol. 50r–83r), wurde an der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert in einer frühen Form der gotischen Minuskel geschrieben. Paris 14591 dient als Leithandschrift der Edition.

Paris, BnF, latin 14591, fol. 50r

Paris, BnF, latin 14591, fol. 55v

Beginn von D.1 t.8 de transactione (linke Spalte Mitte) und von D.1 t.9 de sacramento calumpnie (rechte Spalte Mitte). Von zweiter Hand wurden im Rand die Namen der tituli ergänzt (hier: De transactionibus und De sacramento calumpnie). Außerdem hat die zweite Hand Korrekturen im Text vorgenommen (z.B. linke Spalte, Z. 10) und fehlende Textteile am Rand nachgetragen (zweimal im linken Rand).

Laon, Bibliothèque municipale 371bis, fol. 171r

Beginn von D.2 der Summa Quaestionum (Queritur utrum ei gratia conferatur). Die Handschrift enthält nur die zweite Distinctio des Texts (fol. 171–176), außerdem die Dekretsumme des Honorius (fol. 83–170) sowie den Glossenapparat Ecce vicit leo (fol. 1–82). Ihr Text steht dem der Leithandschrift Paris sehr nahe.

Laon, Bibliothèque municipale 371bis, fol. 173r

Beginn von D.2 t.5 de nocturna pollutione (linke Spalte unten) und D.2 t.6 de crimine (rechte Spalte Mitte) mit großen Abständen zwischen den tituli. Im rechten Rand eine schematische Darstellung der wünschenswerten Eigenschaften eines Bischofs, die in den folgenden tituli im Detail behandelt werden: oportet episcopum / sine crimine / monogamum / non uinolentum / prudentem / ornatum / hospitalem / doctorem / non percussorem / non litigiosum / non cupidum / sue domui (/) bene prepositum / non neophitum. Die Aufstellung geht auf 1 Tim 3,1-6 und Tit 1,7-9 zurück und wird auch im Decretum Gratiani verschiedentlich erörtert (vgl. z.B. für sine crimine D.81 c.1 und D.25 dictum post c.3).

Schematische Darstellung der wünschenswerten Eigenschaften eines Bischofs:

oportet episcopum / sine crimine / monogamum / non uinolentum / prudentem / ornatum / hospitalem / doctorem / non percussorem / non litigiosum / non cupidum / sue domui (/) bene prepositum / non neophitum

Leipzig, Universitätsbibliothek 984, fol. 90r

Beginn der Quaestionensumme mit der Rubrik Incipiunt questiones. Unten auf der Seite ist gut der Textverlust durch Wasserschaden zu erkennen, der während der Auslagerung der Handschriftenbestände der Leipziger Bibliothek während des Krieges entstand.

Leipzig, Universitätsbibliothek 984, fol. 101r (Ausschnitt)

Federzeichnungen im unteren Rand mit roter Tinte. Zwei Fabelwesen, wovon das eine aus der P-Initiale zu erwachsen scheint.

Zwettl, Stiftsbibliothek 162, fol. 179r

Beginn der Summa Quaestionum mit Autorzuschreibung (Incipiunt questiones ueneriales secundum magistrum honorium). Außerdem der Hinweis auf die Funktion der Summa im Lehrbetrieb des 12. Jahrhunderts. Sie wurden offensichtlich in Ergänzung zur lectio immer freitags (uenerialis) zur Vertiefung ausgewählter Fragestellungen herangezogen.

Rubrik mit Autorzuschreibung:

Incipiunt questiones ueneriales secundum magistrum honorium

Zwettl, Stiftsbibliothek 162, fol. 203v

Folio mit Text aus D.3 t.III de sponsis und t.IV de diuortiis, in der Handschrift ohne tituli-Unterteilung (t.IV beginnt in der rechten Spalte, neun Zeilen nach der S-Initiale).

Zwettl und Bamberg bilden eine aus Italien stammende Handschriftengruppe. Sie unterscheiden sich hinsichtlich des Textes stark von den übrigen Handschriften. Auch die Gliederung des Textes ist hier anders gestaltet, was Textvergleiche oft erschwert. Im Gegensatz zu den übrigen Kodizes werden in Zwettl die solutiones der gestellten Fragen durch rote Initialen besonders hervorgehoben (sechsmal auf diesem Folio).

Bamberg, Staatsbibliothek, Can. 45, fol. 23r

Beginn der Summa Quaestionum. Rote Initialen D und P zu Beginn von D.1 t.1 de rescriptis (linke Spalte oben) und D.1 t.2 de restitutione spoliatorum (rechte Spalte unten). Oben im Rand der Handschrift der Schreibervers Sancti spiritus assit nobis gratia, der sich (unvollständig) auch auf fol. 50r der Pariser Handschrift findet.

Schreibervers im oberen Rand der Seite:

Sancti spiritus assit nobis gratia

Bamberg, Staatsbibliothek, Can. 45, fol. 30r

Beginn von D. 2 t.6 de crimine (rechte Spalte oben). Passend dazu wurde im rechten Rand die Auflistung der wünschenswerten Eigenschaften eines Bischofs ergänzt, die in der Handschrift Laon in schematischer Darstellung zu finden ist.

Ergänzung im rechten Rand:

oportet episcopum sine / crimine monogamum / non uinolentum / prudentem ornatum / hospitalem doctorem / non percussorem non / litigiosum non / cupidum sue domui / bene prepositum non ne-/-ophitum

Douai, Bibliothèque municipale 640, fol. 1r

Beginn der Summa Quaestionum auf dem ersten Folio der Handschrift. Im oberen Rand trug eine spätere Hand die Bezeichnungen des jeweiligen titulus ein (hier: de Rescriptis) Unten Stempel der Bibliothèque publique (heute: municipale) von Douai.

Douai, Bibliothèque municipale 640, fol. 2r

Beginn von D.1 t.2 de restitutione spoliatorum (linke Spalte unten). Verwendet werden am Anfang der tituli rote Initialen und rote Rubriken mit der titulus-Bezeichnung (hier: de impedimentis restitutionis). Im linken Rand findet sich eine Anmerkung von späterer Hand, die auf eine inhaltlich von den Ausführungen Honorius’ abweichende Dekretale Papst Innozenz’ III. verweist (aliter soluit innocentius III.; vgl. Liber extra 1.29.28 § 3). Dabei geht es um die Frage, ob ein Ordinarius von der Vollstreckung eines vom Papst gefällten Urteils absehen kann, was in der Dekretale verneint wird (quod ordinarius tenetur exequi etiam quod nouerit esse iniustum).

Anmerkung von späterer Hand im linken Rand:

aliter soluit innocentius III. / de of. del’. Pastoralis § / Quia uero, quod ordinarius / tenetur exequi etiam quod nouerit / esse iniustum.

Douai, Bibliothèque municipale 640, fol. 20r

Ende von D.2 t.7 de bigamia und Beginn von D.2 t.8 de sobrietate (rechte Spalte oben). Im unteren Rand wurde von späterer Hand eine umfangreiche Ergänzung zum Thema der Bigamie eingetragen. Es handelt sich um den Text eines anonymen Autors des frühen 13. Jahrhunderts zur Frage an bigamus suscipiat caracterem, d.h. ob ein Bigamist das (innere) Zeichen der Weihe erhalten kann. Aufgrund des defectum sacramenti wird dies verneint und ein dauerhaftes Weiheverbot ausgesprochen.

Umfangreiche Ergänzung zum Thema der Bigamie im unteren Rand:

Item queritur an bigamus suscipiat caracterem. non uidetur quia propter defectum sa-/-cramenti non promouetur. non ergo cum in ipsum deficiat sacramentum potest recipere sacramentum. / Item in bigamo perpetua est prohibitio quia nec permittitur ordinari nec si ordinatur / de facto habet excommunicationem. unde cum perpetua sit prohibitio contrahere cum cognata et num-/-quam possit cum ea esse matrimonium ergo a simili cum bigamo non est caracteris collatio. Set contra / ordinati ab hereticis uel excommunicatis ordinem suscipiunt, supra / ix. Q.i. ordinationes. quare ergo isti non suscipiunt caracterem? in / sacramentis dummodo fiant in forma ecclesie et ab eo qui potest uerum est quod conferun-/-tur ergo et hic karacter.