Toleranz an den Grenzen Europas

Proaktive Toleranz als Schlüssel für Demokratie und Frieden Internationale Konferenz in Uzhgorod vom 13.-14. September 2019

Mehr als 60 internationale Wissenschaftler, Praktiker, Politik- und Religions-Vertreter aus Weißrussland, Russland und der gesamten Ukraine tagten am 13. und 14. September an der Nationalen Universität Uzhgorod (West-Ukraine). Das Thema, wozu die Soziologen, Politikwissenschaftler, Journalisten, Philosophen, Bildungswissenschaftler u.a. ihre Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis erörterten, war das Konzept einer proaktiven Toleranz. Ihm liegt ein fundamentales und anspruchsvolles Verständnis der Toleranz zugrunde, weil damit nicht nur die Duldung anderer Meinungen oder der aktive Kampf für Meinungsfreiheit und Individualität verstanden wird, sondern eine Haltung der Wertschätzung von Pluralität und Vielfalt.


Das Konzept und die Tagung entstanden im Rahmen eines bereits seit gut einem Jahr vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts („Toleranz an den Grenzen Europas“), in dem ein internationales Team von Sozialethikern von der Ludwig-Maximlians-Universität und der Katholischen Sozialwissenschaftlichem Zentralstelle sowie von Wissenschaftlern der Nationalen Universität Uzhgorod zusammenarbeiteten.
Wesentliche Ergebnisse der Konferenz waren, dass der Begriff der Toleranz geradezu ein Konfliktbegriff sei, denn Toleranz werde im Konflikt erst relevant. So betonten die Teilnehmer einhellig, dass Toleranz gerade nicht als Appeasement-Politik missverstanden werden darf, in der aggressiv-intolerantes Verhalten geduldet werde. Dies betonte u.a. Politikwissenschaftler Ihor Vehesh, Professor in Uzhgorod, im Hinblick auf den Russland-Ukraine-Konflikt. Proaktive Toleranz könne, so die Teilnehmer, ein Schlüssel zur Demokratie sein, wenn es gerade wie in der Ukraine eine Bevölkerung unterschiedlicher Ethnien, Kulturen und Religionen gebe. Die Ukraine hält aufgrund ihrer historischen Erfahrung im toleranten Umgang mit Minderheiten viele Ressourcen für die Entwicklung von Toleranz in der Gesellschaft bereit, die zum Teil in der ukrainischen Philosophie und Literatur reflektiert worden sind.
Eine besondere Rolle für das Gelingen der Toleranz spielen die verschiedenen Religionen und Konfessionen in der Ukraine. Die Teilnahme von höchsten Würdenträgern der Muslime (stv. Großmufti der Ukraine) und christlicher Bischöfe und Priester der orthodoxen, griechisch-katholischen Kirchen machte das Interesse und die Bereitschaft der Religionen zum Dialog und der Mitarbeit an einem toleranten Miteinander in der Ukraine deutlich. Die Bedeutung der Religionen und die Perspektiven der Weiterentwicklung des Dialogs veranschaulichte u.a. Professor Markus Vogt von der LMU. Insbesondere vor dem Hintergrund der Bewährungsprobe für die Zukunft der Demokratie, so Dr. Arnd Küppers, stellvertretender Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ). Hierzu stellten verschiedene Wissenschaftlerinnen der Nationalen Universität Uzhgorod aus psychologischer und pädagogischer Programme vor.

Proaktive Toleranz setzt eine Atmosphäre der Wertschätzung des anderen in seiner Individualität voraus. Die hohe Vulnerabilität dieser Haltung in einer multimedialen Welt und in Zeiten der Desinformation und Manipulation durch asymmetrische Kriegsführung haben weltweiten Zunahme von Identitätskonflikten zwischen starken, oft religiös unterlegten Überzeugungen, sind Einübung und Verteidigung von Toleranz heute eine entscheidende Journalisten und Medienwissenschaftler reflektiert. Den Abschluss fand die Tagung mit einer ausgiebigen Diskussion über die Frage der pädagogischen Vermittlung des Konzepts. Dabei wurden Zielgruppen, konkrete Kurse und organisatorische Rahmen diskutiert und erste Beschlüsse gefasst. Im kommenden Jahr ist eine weitere Tagung geplant, die sich gezielt mit der Implementierung von Bildungsprojekten zum Thema proaktive Toleranz beschäftigt.

Im Vorfeld der Konferenz fand ein Besuch der Katholischen Universität in Lemberg statt, bei dem Vizepräsident Prof. Dr. Oleh Turiy, Inhaber des Lehrstuhls für Kirchengeschichte, die siebenköpfige deutsche Delegation führte und Möglichkeiten künftiger Zusammenarbeit besprochen wurden.

Tolerance at the European frontiers – the dimension of Ukraine

Internationale Konferenz zum Auftakt des Projektes vom 4.-6. 10. 2018

Vom 4. bis 6. Oktober fand die Internationale Konferenz "Toleranz an den Grenzen Europas: die Dimension der Ukraine" als Auftakt des gleichnamigen Projektes statt. Dies Projekt ist am Lehrstuhl für Christliche Sozialethik der Ludwig-Maximilians-Universität München angesiedelt, wird in Kooperation mit der Nationalen Universität Uschghorod durchgefürht und vom Auswärtigen Amt der deutschen Bundesregierung gefördert. Mitveranstalter waren auch die Katholische Sozialwissenschaftliche Zentralstelle, die von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken getragen wird, sowie das Interreligious and Civil Environmental Forum of Eastern Europe.

Rund 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Ukraine, sowie aus Deutschland und einigen Nachbarländern nahmen teil. Vorgeschaltet waren vier Vorlesungen von Wissenschaftlern aus Deutschland an der Nationalen Universität Uschghorod zu verschiedenen Aspekten der Toleranz: friedensethisch im Blick auf christliche Grundoptionen, europäisch in Bezug auf die kulturphilosophischen Grundlagen, politisch hinsichtlich des Umgang mit Populismus und der Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt, wirtschafts- und ordnungsethisch im Blick auf das Modell der Sozialen Marktwirtschaft als Friedensformel, die Freiheit als Freiheit zu Verantwortung und Initiative versteht.

Zu Beginn der Konferenz betonte Vizerektorin Prof. Myroslava Lendiel die große Bedeutung der Konferenz und des Projektes für die Universität im Blick auf ihre Einbindung in internationale Forschungskontakte und gesellschaftlich aktuelle Dialogprozesse. Die gesellschaftliche Dimension wurde auch durch den Stellvertretenden Vorsitzenden der Regionalregierung Transkarpatiens, Yosup Borto, hervorgehoben.

Einleitende Grundsatzreferate beschäftigten sich mit dem Zusammenhang von Toleranz und Frieden sowie mit aktuellen Erfahrungen von Intoleranz, Populismus und Neonationalismus, die Deutschland und viele andere europäische Staaten derzeit zu spalten drohen. Insgesamt gab es fünf Panels zu spezifischen Forschungs- und Praxisfragen der Toleranz. Dabei wurde sowohl vielfältig über aktuelle empirische Untersuchungen zur Situation in der Ukraine berichtet als auch über methodische Fragen der Messung und Vermittlung von Toleranz reflektiert. Ein gewisser Schwerpunkt waren psychologische und soziologische Zugänge, die den Zusammenhang von verunsicherter Identität und Intoleranz verdeutlichen. Mehrfach wurde auf die 1995 von der UNO verabschiedeten Prinzipien der Toleranz Bezug genommen, die sowohl inner- wie zwischenstaatlich hohe Brisanz besitzen. Für das politisch-diskurstheoretische Verständnis der Toleranz als “Tugend der Demokratie” wurde immer wieder auch von ukrainischer Seite auf den Philosophen Jürgen Habermas verwiesen. Die Schlüsselrolle der Medien für Demokratie, Toleranz und Frieden wurde damit kontrastiert, dass die Medien machtpolitisch im Kontext hybrider Kriegsführung massiv manipuliert würden. Zentrale These der Konferenz war, dass es in der Ukraine im Kern nicht primär um einen territorialen Konflikt, sondern um einen Wertekonflikt geht. Dessen Bewältigung bedarf einer interkulturellen, ethisch-gesellschaftstheoretischen und wissenschaftlich differenzierenden Debatte. Es geht um Identitätsfragen, die immer auch kulturelle Konstrukte konkurrierender Geschichtsdeutungen sind.

Am zweiten Konferenztag wechselte die Versammlung den Ort und zog vom Rektoratsgebäude der Nationalen Universität zu einem Konferenzraum in der auf eine Schenkung von Maria Theresia zurückgehenden Residenz des griechisch-katholischen Bischofs Milan Sasik. Dieser hat das Projekt bereits in der Entstehung intensiv unterstützt. Hier wurde insbesondere intensive über die Rolle des interkonfessionellen und interreligiösen Dialogs für Toleranz diskutiert, was im Blick auf die tiefgreifenden Konflikte innerhalb der orthodoxen Kirchen gerade für die Situation in der Ukraine eine Schlüsselbedeutung hat. Verschiedene Modelle, wie die Spannung zwischen (religiösem) Wahrheitsanspruch, kultureller Identitätssuche und Toleranz bewältigt werden kann, wurden vorgestellt. Weitere gemeinsame Forschung zum Konzept einer aktiven, diskurs- und kompromissfähigen Toleranz wurden verabredet.

Abgerundet wurde das Konferenzprogramm durch einen Ausflug zu den Burgen von Uschghorod und von Mukachevo, die für die kulturelle Identität der Ukraine eine Schlüsselbedeutung haben. Unter den weiteren Zielen war der Besuch in einer Roma-Siedlung besonders eindrücklich. Deren soziale Probleme sowie die Bemühungen der Regierung und der Kirchen für eine Integration der Roma waren zuvor intensiv debattiert worden. Da die persönliche Begegnung für das Gelingen einer Konferenz mindestens ebenso wichtig ist, wie der akademische Diskurs, gab es abschließend eine Weinprobe mit transkarpatischer Musik und Gesang.
Mehrere Fernseh- und Presseteams waren bei der Konferenz anwesend und haben in verschiedenen Sprachen in den entsprechenden Medien berichtet. Hierzu exemplarisch:
- https://www.uzhnu.edu.ua/uk/news/v-uzhnu-rozpochalas-konferentsiya-tolerantnist-na-kordonah-Yevrop.htm
- https://www.uzhnu.edu.ua/uk/news/v-uzhnu-provely-mizhnarodnu-konferenciju-za-uchasti-nimeckih-nauk.htm