Profil des Lehrstuhls

Was ist Christliche Sozialethik?

Leitendes Interesse der ethischen Reflexion am Lehrstuhl für Christliche Sozialethik wird die Frage nach den Konsequenzen des Umbruchs der Moderne mit ihren vielfältigen Ambivalenzen:

  • Wohlstandschancen und neuer Armut in der Globalisierung
  • Fortschritt und Risiko in technischen Entwicklungen
  • ungeahnte Freiheit und ihre Gefährdung in der pluralen Gesellschaft

Der christliche Glaube ist dabei keine Alternative zur vernünftigen Begründung ethischer Postulate, sondern eine Horizonterweiterung, die Vernunft freisetzt und humane Orientierungen auch dort ermöglicht, wo rationale Argumentationen an ihre Grenzen stoßen.

"Die Christliche Sozialethik ist ein unverzichtbarer Ort des wissenschaftlich fundierten Ringens der Weltkirche um verantwortete Zeitgenossenschaft in einer sich globalisierenden Welt." (Positionspapier der AG Christlicher Sozialethik, 6) Diese Zeitgenossenschaft wird als wechselseitiger Lernprozess zwischen Kirche und Gesellschaft verstanden. Nur als interdisziplinäres Brückenfach wird sie ihrem eigenen wissenschaftlichen Anspruch gerecht und kann die Lebenswirklichkeit der Menschen heute angemessen reflektieren.

Theologische Ethik ist eine auf Handeln bezogene Reflexion der Wirklichkeit unter der Differenz von gut und böse; dabei orientiert sie sich an der Annahme, dass Gottes Heilswille für alle Menschen und die gesamte Schöpfung gilt. Der Mensch ist sich selbst aufgegeben und steht stets neu vor Entscheidungen, die nur er selbst treffen und verantworten kann. Dies entbindet jedoch nicht von den Fragen nach einer gerechten Gestalt der sozialen Institutionen und nach den Voraussetzungen, unter denen Freiheit und ein gutes Leben für alle möglich sind. Hierfür fehlt es nicht an allgemeinen Appellen, sondern an differenzierten Analysen und Orientierungen in konkreten gesellschaftlichen Konfliktfeldern wie z.B. Sozialstaat, Klimaschutz, Agrarpolitik und Hungerbekämpfung oder Gentechnik. Nur eine konkrete Ethik ist wirklich hilfreich. Sie darf jedoch nicht zur bloßen Anwendungs- und Bereichsethik werden, sondern bedarf stets auch einer hermeneutischen Reflexion ihrer Methoden, Maßstäbe, theologischen Grundlagen, gesellschaftlichen Voraussetzungen und Kommunikationsbedingungen.

Zeitgeschehen

Beim Blick in die Zeit forden Politik und Gesellschaft vertiefte ethische Reflexion. In Teilbereichen wie der Friedens-, Familien- und politischen Ethik machen diese Herausforderungen einen Schwerpunkt des Lehrstuhls aus.

Wirtschaftsethik

Ethische Fragen gerechten Wirtschaftens, der Grenzen des Wachstums, sowie einer von christlichen Wertvorstellungen geprägten Wirtschaftsethik sind in Lehrveranstaltungen und Publikationen fester Bestandteil des Lehrstuhls.

Nachhaltigkeit

Die Forschungen zu Hintergründen und normativer (und theologischer) Dimension von Nachhaltigkeit, Klimawandel und Anthropozän prägen das Profil des Lehrstuhls.

Ethische Grundlagen

Grundlagenforschung wie grundsätzliche Fragen nach Gerechtigkeit und der Entstehung von Werten sowie der Möglichkeit von Gliederungssystemen der Ethik sind ständige Beschäftigung für die Mitarbeitenden des Instituts.

Geschichte des Lehrstuhls

Der Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München wird durch Entschluss des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 01.09.1955 errichtet. Die Leitung übernimmt Prof. Dr. Nikolaus Monzel, der bis zu diesem Zeitpunkt als Nachfolger von Prof. Dr. Wilhelm Schwer Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn tätig ist. Auf Antrag von Prof. Dr. Monzel wird der Lehrstuhl umbenannt. Seit 1959 heißt der Lehrstuhl "Lehrstuhl für Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie". Zu Beginn des Wintersemesters 1955/56 wird mit der Errichtung des Seminars begonnen. Bis zum vorzeitigen Einzug in den geplanten Erweiterungsbau der Universität an der Adalbertstraße findet es eine vorläufige Unterkunft im Moraltheologischen Seminar am Herzoglichen Georgianum, Professor-Huber-Platz 1. Das Thema der ersten Seminarveranstaltung im Wintersemester mit 20 teilnehmenden Studenten lautet: "Die Enzyklika Rerum novarum".

Nikolaus Monzel (1906-1960)

Geboren am 09.06.1906 in Siegburg/Rheinland. Von 1926 bis 1932 Studium der Philosophie und Theologie an den Universitäten Bonn und Freiburg/Br. und im Priesterseminar in Bensberg bei Köln. Nach der Priesterweihe im Jahre 1932 ist Monzel in der Seelsorge tätig: bis 1937 als Kaplan im Industriebezirk Essen-Kray und in Köln, dann als Kaplan, Pfarrvikar und, von 1946 bis 1950, als Subsidiar in Bad Godesberg-Friesdorf. Neben seiner Seelsorgearbeit betreibt er in diesen Jahren philosophische, theologische und soziologische Studien. 1938 wird er zum Dr. theol. mit einer fundamentaltheologisch-religionssoziologischen Studie über den Kirchenbegriff promoviert (Vgl. N. Monzel, Struktursoziologie und Kirchenbegriff, Bonn 1939). 1943 habilitiert er sich für das Fach Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn (Vgl. N. Monzel, Die Überlieferung. Phänomenologische und religionssoziologische Untersuchungen über den Traditionalismus der christlichen Lehre, Bonn 1950), kann wegen der politischen Verhältnisse aber erst 1945 als Privatdozent für Fundamentaltheologie zugelassen werden. Ab 1946 hält Monzel Vorlesungen über scholastische Philosophie, dazu seit 1947 Vorlesungen über die katholische Soziallehre. 1947 wird er mit der Vertretung des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Bonn beauftragt. Zum planmäßigen außerordentlichen Professor für Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie wird er 1948 ernannt, 1949 zum persönlichen ordentlichen Professor. 1955 wird Monzel Professor auf dem neuerrichteten Lehrstuhl für Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Am 14.10.1960 stirbt Nikolaus Monzel im Alter von nur 54 Jahren; er wird auf dem Nordfriedhof seiner Heimatstadt Siegburg/Rheinland beigesetzt.

Joachim Giers (1911-1996)

Geboren am 04.06.1911 in Berlin. Studium der Theologie und Philosophie an der Universität Breslau. Nach der Priesterweihe im Jahre 1932 und einer zweijährigen Kaplanszeit in Berlin-Steglitz wird er zum Weiterstudium freigestellt und folgt seinem ehemaligen moraltheologischen Lehrer, Theodor Müncker, dessen Seminar er bereits in Breslau besucht hat, nach Freiburg/Br. Im September 1939 wird er mit einer Arbeit über die Gerechtigkeitslehre des Kardinals Thomas de Vio, Cajetan genannt, zum Doktor der Theologie promoviert (Vgl. J. Giers, Gerechtigkeit und Liebe. Die Grundpfeiler gesellschaftlicher Ordnung in der Sozialethik des Kardinals Cajetan, Düsseldorf 1941). Das Promotionsverfahren ist noch nicht beendet, als der Zweite Weltkrieg ausbricht und Giers in die Berliner Seelsorge zurückgerufen wird, zunächst nach St. Mauritius in Berlin-Lichtenberg und anschließend, von 1940 bis 1942, als Kaplan an der St. Hedwigs-Kathedrale. Sein Pfarrer ist Domprobst Bernhard Lichtenberg. 1942 wird Giers zum Kriegsdienst eingezogen. Nach dem Krieg wirkt Giers vier Jahre als Kaplan an der Sebastians-Kirche in Berlin-Wedding. 1952 nimmt er die Arbeit an seiner Habilitationsschrift über Franz Suárez auf (Vgl. J. Giers, Die Gerechtigkeitslehre des jungen Suárez. Edition und Untersuchung seiner römischen Vorlesungen De iustitia et iure, Freiburg 1958). Noch während der Arbeit an seiner Habilitationsschrift wird er 1953 mit der Vertretung der Professur für Moraltheologie und Ethik am Philosophisch-Theologischen Studium in Erfurt betraut und schließlich 1955 zum Professor ernannt. 1963 verläßt Giers Erfurt, tritt die Nachfolge von Nikolaus Monzel an und ist bis zu seiner Emeritierung am 31.03.1979 Ordinarius für Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Ludwigs-Maximilians-Universität München. Am 28.11.1996 stirbt Giers in München.

Wilhelm Korff (geb. 1926)

Geboren am 29.11.1926 in Hilden. Von 1946 bis 1952 Studium der Philosophie und Theologie an der Universität Bonn und im Priestersemiar Köln. Nach der Priesterweihe im Jahre 1952 folgen Kaplansjahre in Essen-Altenessen, Neuss und Sürth. 1960 Studentenpfarrer in Düsseldorf. 1964 wird Korff über ein moraltheologisches Thema bei Prof. Dr. Werner Schöllgen in Bonn promoviert (Vgl. W. Korff, Ehre, Prestige, Gewissen, Köln 1966) und 1973 habilitiert er sich an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn (Vgl. W. Korff, Norm und Sittlichkeit. Untersuchungen zur Logik der normativen Vernunft, Freiburg/Br. [2. Aufl.] 1985 [1. Aufl. Mainz 1973]). Von 1973 bis 1979 ist er Professor für theologische Ethik unter besonderer Berücksichtigung der Gesellschaftswissenschaft an der Universität Tübingen, ab 1979 bis zu seiner Emeritierung 1993 lehrt er als Professor für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Auf Antrag von Korff wird der Lehrstuhl 1979 umbenannt. Von 1992–1996 ist Korff Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen bei der Bundesregierung. Nach seiner Emeritierung leitet Korff die Redaktion Bioethik/Wirtschaftsethik der Görresgesellschaft und gibt als federführender Herausgeber das Lexikon für Bioethik (Gütersloh 1998) und das Handbuch für Wirtschaftsethik (Gütersloh 1999) heraus. Er ist Mitherausgeber des in dritter Auflage erscheinenden Lexikons für Theologie und Kirche (Freiburg u.a. [3. Aufl.] 1993ff).

Alois Baumgartner (geb. 1941)

Geboren am 22.08.1941 in Mühldorf/Inn. Studium der Philosophie, Theologie und Volkswirtschaftslehre in München und Münster. Von 1976-1981 ist er Assistent am Institut für Moraltheologie und Christliche Sozialethik an der Ludwig- Maximilians-Universität München und promoviert hier 1977 bei Joachim Giers zum Dr. theol. (Vgl. A. Baumgartner, Sehnsucht nach Gemeinschaft. Ideen und Strömungen im Sozialkatholizismus der Weimarer Republik, München-Paderborn-Wien 1977). Von 1982 bis 1992 ist Baumgartner Geschäftsführer des Landeskomitees der Katholiken in Bayern und von 1992-1994 Professor für Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Universität Bamberg. Im August 1994 übernimmt er die Professur für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006.

Markus Vogt (geb. 1962)

Seit 2007 Ordinarius für Christliche Sozialethik an der Katholischen Fakultät der LMU. Einen ausführlichen Lebenslauf, Wissenschaftliche Tätigkeiten und Forschungsschwerpunkte von Markus Vogt finden Sie hier.