Seminar-Workshop "Das Kirchenrecht und seine Grundlegung im Konzert der Wissenschaften"

Über den zweiteiligen Seminar-Workshop "Das Kirchenrecht und seine Grundlegung im Konzert der Wissenschaften" am 16. und 23.06.2023.

Im Rahmen des von Prof. Dr. Dr. Burkhard Berkmann als Blockveranstaltung gehaltenen Hauptseminars zur Theologischen Grundlegung des Kirchenrechts fand am Freitag, 16.06.23, von 17:30-19:00 Uhr sowie am Freitag, 23.06.23, von 14:00-19:00 Uhr der zweiteilige Seminar-Workshop mit dem Titel „Das Kirchenrecht und seine Grundlegung im Konzert der Wissenschaften“ mit ausgewiesenen Fachreferenten statt.

Den ersten Teil des Workshops am 16.06.23 gestaltete Prof. Dr. Reiner Anselm (Lehrstuhl für Systematische Theologie und Ethik, Evangelisch-Theologische Fakultät, LMU München) mit seinem Vortrag zum Thema „Legitimationsbeschaffung oder Formbildung? Der Einfluss theologischer Denkfiguren auf das Recht, insbesondere das Kirchenrecht“. Anhand eines historischen Ansatzes, ausgehend von biblischen Aspekten über stilbildende Figuren der Vormoderne bis hin zur Zeit nach dem 2. Weltkrieg, behandelte der Referent besonders kontrovers diskutierte Fragen um die legitime innerweltliche Vermittlungsinstanz des Willens Gottes und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Struktur des Zusammenlebens. Dabei eröffnete er ein doppeltes Prinzip der Verhältnisbestimmung zwischen Theologie und Recht, das konstruktiv oder kritisch sein kann.

Am Anfang des zweiten Teils des Workshops am 23.06.23 stand der von Prof. Dr. Hans-Peter Hübner (Augustana-Hochschule Neuendettelsau) gehaltene Vortrag „Zur Begründung evangelischen Kirchenrechts als Antwort auf Rudolf Sohm“. Der Referent setzte dazu bei der Legitimität des Kirchenrechts als Grundsatzanfrage der Reformation an und behandelte in diesem Zusammenhang auch das Verständnis der Kirche sowie des Kirchenrechts aus evangelischer Perspektive. In einem zweiten Teil widmete er sich den Thesen und dem Kirchen- und Rechtsbegriff Rudolph Sohms sowie verschiedenen Gegenentwürfen dazu. Im letzten Abschnitt befasste er sich schließlich mit der Neubesinnung auf das Wesen des evangelischen Kirchenrechts im 20. Jahrhundert anhand der theologischen Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen (1934) und stellte u.a. die Ansätze von Johannes Heckel, Erik Wolf und Hans Dombois vor, bevor er mit aktuellen Perspektiven abschloss.

Daran anschließend widmete sich Prof. Dr. Karsten Fischer (Lehrstuhl für Politische Theorie, Sozialwissenschaftliche Fakultät, LMU München) dem Thema „Kirchliches und religiöses Recht im liberalen Staat aus politologischer Perspektive“ und gliederte seinen Vortrag dazu in drei große Abschnitte: Zuerst eröffnete er aus einem historischen Blickwinkel die Problembeziehung zwischen religiösem und staatlichem Recht, die er exemplarisch am Investiturstreit, dem Wormser Konkordat und der Reformation sowie unter Bezugnahme auf Thomas von Aquin, Thomas Hobbes, John Locke, Ernst-Wolfgang Böckenförde und Niklas Luhmann aufzeigte. Im Anschluss daran beschäftigte er sich mit dem politischen Problem religiöser Liberalität, wozu er die protestantische politische Ethik und die islamische Strömung der Schia heranzog. Abschließend analysierte er einige aktuelle Herausforderungen, wie bspw. die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters oder das parallele Bestehen religiöser und staatlicher Rechtsordnungen.

Den Abschluss des Workshops bildete der Vortrag von Prof. Dr. Ulrich Haltern, LL.M. (Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Rechtsphilosophie, Rechtswissenschaftliche Fakultät, LMU München), der sich mit der Thematik „Kulturtheorie und staatliches Recht als Analogon zur Religion“ auseinandersetze und damit in einigen Aspekten einen Gegenpol zum vorhergehenden Referat bildete. So ging Haltern von der These aus, dass der Staat Träger von Letztbedeutungen sei, die sich aufgehoben finden im Begriff der Souveränität. Weiterführend beschäftigte sich der Referent insbesondere mit Formen der Vergemeinschaftung und stellte die These auf, dass im modernen Staat stets beides zu finden sei: ein Denken in Verkörperungsformen, wie es eher dem Katholizismus entspräche, als auch ein Denken in Repräsentationsformen, was dem Protestantismus näherstünde. Dabei plädierte er dafür, dass bei aller (notwendigen) vernünftigen und rationalen Betrachtung immer auch etwas Unverfügbares oder Unantastbares in einem Staat bleibe, das nicht übersehen oder vergessen werden dürfe.

Durch die große thematische Bandbreite und die Vielfalt der vertretenen Thesen und Ansätze sowie durch die Referenten verschiedener Fachrichtungen ermöglichte es der Workshop, die Grenzen der eigenen Disziplin zu überschreiten und mögliche Verbindungen kennen zu lernen, aber auch Differenzierungen und Grenzziehungen auszuloten, was im Anschluss an jeden der vier Vorträge zu einer lebendigen und bereichernden Diskussion und vielen neuen und weiterführenden Gedanken und Fragestellungen führte.

Anna-Maria Bader