Symposium: Religionsunterricht in Geschichte und Gegenwart

Am Nachmittag des 3. Juni 2019 hielt das Klaus-Mörsdorf-Studium für Kanonistik wieder sein jährliches Symposium ab. Inhaltlich stand diesmal mit dem Religionsunterricht ein Thema im Mittelpunkt, das auch weit über die Kanonistik hinaus von existenzieller Bedeutung für die Zukunft der Kirche ist. Auf dessen fortdauernde Aktualität wies bereits Prof. Dr. Dr. Berkmann als Prodekan der katholisch-theologischen Fakultät in seinem Grußwort anhand von zwei derzeit in Bayern anhängigen Fragen (Interkonfessionalität sowie Zukunft des Islamischen Religionsunterrichts) hin.

Den Auftakt bildete sodann ein Vortrag von Prof. Dr. Anzelm Szuromi, Rektor der Katholischen Universität Pázmány Péter in Budapest. Er unternahm einen kenntnisreichen Rückblick auf die Geschichte des Religionsunterrichts, in dem vor allem deutlich wurde, wie die Kirche schon seit dem Mittelalter eine Vorreiterrolle bei Bildungsangeboten, insbesondere auch für gesellschaftlich benachteiligte junge Menschen, einnahm. Mit dem Aufkommen der modernen Staatsverfassungen im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert wurde das Recht der Gläubigen auf Religionsunterricht zunehmend bereits auf dieser höchsten rechtlichen Ebene verankert. Szuromi wies davon ausgehend auf den klaren Zusammenhang zwischen Religionsunterricht, Religionsfreiheit und Menschenwürde hin: wo kein Religionsunterricht möglich ist, wird die Religionsfreiheit nicht respektiert und somit - weil die religiösen Anschauungen eines Menschen nun einmal essentieller Teil seiner Persönlichkeit sind - auch nicht die Menschenwürde. Die historische Manifestation dieser Problematik belegte Szuromi exemplarisch anhand der Situation in den früheren Ostblockstaaten. Umgekehrt ist die Kirche spätestens seit dem II. Vatikanum darauf bedacht, ihre Bildungseinrichtungen auch für Nichtkatholiken und Nichtchristen zu öffnen - insbesondere in Ländern, wo sie ein Quasi-Monopol im höheren Bildungswesen innehat, stellen solche Schüler mittlerweile sogar die große Mehrheit dar.

Dass sich die Stellung des Religionsunterrichts in einem Land, wo die „laïcité“ Verfassungsrang genießt, erheblich von derjenigen in der Bundesrepublik unterscheiden dürfte, ahnten wir bereits. Umso aufschlussreicher waren insofern die Ausführungen unseres zweiten Referenten, Prof. Dr. Francis Messner, der von der Universität Straßburg zu uns kam. So erfuhren wir, dass religiöse Aktivitäten im schulischen Bereich keineswegs grundsätzlich verboten sind, da auch Frankreich selbstverständlich die Möglichkeit der Weitergabe des Glaubens als Ausprägung der Religionsfreiheit respektiert. Schulischer Religionsunterricht wird auf Antrag der Eltern durch die jeweiligen Religionsgemeinschaften selbst angeboten, wofür der Staat bei der Stundenplangestaltung Raum zu gewähren hat - eine Vergütung der Lehrkräfte durch den Staat erfolgt indessen nicht. Die Teilnahme ist jedoch seit den 1950er-Jahren im Volksschulbereich von 80 % auf 17 % gesunken, im Realschulbereich nehmen noch 4 % der Schüler seelsorgerische Angebote wahr, im Gymnasialbereich gar nur noch 1 % - Zahlen, die einen nachhaltigen Eindruck hinterließen. Interessanterweise erfolgen Anträge auf schulischen Religionsunterricht praktisch ausschließlich von Seiten katholischer Eltern, während beispielsweise im evangelischen Bereich die Institution der „Sonntagsschule“ vorherrscht und jüdische Kinder ohnehin fast immer konfessionelle Privatschulen besuchen.

Aus historischen Gründen stellt sich die Situation in den elsässischen und lothringischen Départements etwas anders dar: dort gibt es katholischen und evangelischen Religionsunterricht als Wahlpflichtfach durch vom Staat bezahlte Lehrkräfte. Schüler, die nicht daran teilnehmen, besuchen stattdessen einen „Moralunterricht“ ohne konfessionelle Prägung, dessen inhaltliche Gestaltung bisweilen kritisiert wird.

Nach einer Erfrischungspause, die aufgrund der hochsommerlichen Temperaturen dankbar angenommen wurde, durften wir als letzten Referenten einen der prominentesten belgischen Theologen und Kanonisten, Prof. Dr. Rik Torfs von der KU Leuven, begrüßen. Die wechselvolle Geschichte des Religionsunterrichts in Belgien war stets eng mit den dortigen politischen Entwicklungen verknüpft. So begann der sogenannte „Schulstreit“ bereits kurz nach der Unabhängigkeit Belgiens und gelangte erst mit dem Schulpakt 1958 zu einem wenigstens vorläufigen Ende. In dieser Zeit durchlebte und durchlitt der Religionsunterricht von einer großzügigen Förderung der Errichtung katholischer Schulen durch die Kommunen bis hin zu seiner völligen Eliminierung nahezu alle denkbaren Facetten, weswegen es 1880 gar zu einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit dem Hl. Stuhl kam!

Die heutige Situation einer grundsätzlichen Gleichberechtigung von konfessionellem Religionsunterricht und weltanschaulich neutraler „Sittenlehre“ stellt sich erwartungsgemäß nach Sprachgemeinschaften differenziert dar. So ist im flämischen Landesteil nach wie vor eine Dominanz des katholischen Bildungswesens mit vielen konfessionellen Schulen zu beobachten, rund 70 % der Schüler erhalten dort katholischen Religionsunterricht. Im wallonischen Landesteil, der traditionell eine humanistische Prägung aufweist, wird überwiegend der nichtkonfessionelle „Sittenlehre“-Unterricht gewählt, dessen inhaltliche Ausgestaltung jedoch häufig Gegenstand von Diskussionen ist - eine befriedigende Antwort auf die Frage, ob und wie ein „neutraler“ Unterricht in ethischen und weltanschaulichen Fragen überhaupt möglich ist, wurde auch in Belgien bislang nicht gefunden.

Aktuell wird die Einführung eines allgemein verpflichtenden Ethikunterrichts unter dem Namen LEF bzw. französisch CPC erwogen, was je nach dafür vorgesehener Stundenzahl zu einer Marginalisierung des konfessionellen Religionsunterrichts führen dürfte - nicht nur die flämische Abkürzung des geplanten Fachs dürfte hierbei an die LER-Debatten der 1990er-Jahre in Brandenburg erinnern.

Abschließend bestand noch Raum für eine ergiebige Diskussion, in der letztlich allen Teilnehmern bewusst wurde, wie dankbar die Kirche für die privilegierte Stellung des Religionsunterrichts in der Bundesrepublik sein darf - in jedem Fall ein kostbares und erhaltenswertes Gut.

Für diesen spannenden und erkenntnisreichen Nachmittag gebührt unser Dank an erster Stelle den drei hochkarätigen Referenten, weiters Prof. Dr. Dr. Güthoff und seinem Lehrstuhlteam für die Organisation und nicht zuletzt allen Studierenden und weiteren Teilnehmern für ihre Anwesenheit und ihr Engagement in der Diskussion!

Text: Augustinus Fries