Trauer um Prof. Dr. Theodor Seidl (1945-2025)
01.03.2025
Ehemaliger Professor für Altes Testament verstorben
01.03.2025
Ehemaliger Professor für Altes Testament verstorben
© Cedric Büchner
Mit Theodor Seidl verliert die Wissenschaft vom Alten Testament einen sorgfältigen und bis ins hohe Alter durchgehend produktiven Exegeten, einen fruchtbaren Lehrer mit ansehnlicher Schülerschaft und eine liebenswürdige, dem fachlichen wie menschlichen Austausch stets zugewandte Persönlichkeit. Der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU war er vom Beginn seines Theologiestudiums 1964 bis zur Übernahme des Würzburger Lehrstuhls für Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen im Jahre 1991 ein Vierteljahrhundert lang unmittelbar verbunden, zuerst als Student, dann als Promovend und gleich nach seiner Priesterweihe im Jahre 1975 für das Erzbistum München und Freising als Assistent und Habilitand, zuletzt als Privatdozent und Professor.
In dieser Zeit empfing er die Anregungen, die seine gesamte weitere wissenschaftliche Arbeit prägen sollten: von Vinzenz Hamp (wie er selber angab) die konzentrierte Behandlung textkritischer Einzelheiten und von Wolfgang Richter die Analyse syntaktischer Strukturen. Diese Anstöße entfaltete er bereits in seiner Dissertation zu Jeremia 27 bis 29 (in zwei Teilen erschienen 1977 und 1978) sowie in seiner Habilitation zu Levitikus 13 und 14 (erschienen 1982) zu einem eigenständigen literaturwissenschaftlichen Profil, in das er später fallweise auch kulturwissenschaftliche Gegenstände integrierte. Den prophetischen und poetischen Texten galt sein besonderes Interesse, er verlor jedoch nie die grammatischen Grundlagen – wie überhaupt das seriöse Handwerk – aus dem Blick und widmete syntaktisch-semantischen Einzelfragen regelmäßig prägnante und gut dokumentierte Aufsätze. In seinen Arbeiten findet man klare, zuverlässige und unaufdringlich dargebotene Orientierung in der Auslegung einer Vielzahl alttestamentlicher Texte (zuweilen auch, für seine Generation gar nicht selbstverständlich, in englischer Sprache). Aus den hebraistisch ausgerichteten Beiträgen kann man gar als professioneller Semitist noch etwas lernen. Theodor Seidls mit Fug und Recht guter Ruf zeigt sich nicht nur in zahlreichen Beiträgen zu Festschriften, sondern namentlich auch in der gleich doppelten Ehre, die ihm selber mit solchen Bänden jeweils zum sechzigsten und zum fünfundsechzigsten Geburtstag erwiesen wurde. Ohnehin investierte er in langfristige Kontakte und blieb neben dem Münchner Schülerkreis Wolfgang Richters vielen anderen verbunden, die in irgendeiner Rolle einmal seinen Weg gekreuzt hatten.
Einen Schwerpunkt in seinem Werk bildet die Rezeption des Alten Testamentes in der Musik. In mehreren Aufsätzen zu Vertonungen des Hohenliedes behandelte er kundig selbst schwer zugängliche Werke der Avantgarde, und zwar nicht mit dem Enthusiasmus des Laien, sondern aus der Innenperspektive des auf Niveau praktizierenden Musikers. Seine Instrumente waren das Klavier und, durchaus passend zu seiner Persönlichkeit, das Cello, dessen warmer Klang der menschlichen Stimme am nächsten kommt. Der Musik gehörte daher auch in seiner vielfältigen Tätigkeit in der Erwachsenenbildung über biblische Gegenstände seine Vorliebe. Dazu begegnet man in den grundlegenden Handbüchern und Enzyklopädien immer wieder gediegen informierenden kleineren Artikeln aus seiner Feder.
Nach seinem Ausscheiden aus engagiertem Dienst in Würzburg im Jahre 2010 zog es ihn nach Scheyern zurück, wo er einst das Benediktinergymnasium besucht hatte und nun sein seelsorgerisches wie sein wissenschaftliches Wirken fortsetzte. Von Scheyern aus nahm er bis vor kurzem auch regelmäßig an den seit der Pandemiezeit als Videokonferenz abgehaltenen Sitzungen der Alttestamentlichen Sozietät in München teil. Aus seiner gründlichen Kenntnis von Sprache und Wortlaut konnte er mit der ihm eigenen Bescheidenheit manchen wertvollen, da konzisen und von jedem Schwadronieren freien Beitrag zur Diskussion leisten.
Am 1. März 2025 ist Theodor Seidl heimgegangen, für viele Fachgenossen sicher überraschend, denn erst 2024 war noch ein Aufsatz zu Psalm 84 mit dem Titel „Sehnsucht nach dem Heiligtum oder Wandeln in Vollkommenheit?“ erschienen, der nun als vielsagendes Siegel unter seinem Wirken als Priester, Exeget und Vermittler steht. Begraben wurde er sogleich am Aschermittwoch in Scheyern. Die Katholisch-Theologische Fakultät der LMU gedenkt dieser treuen Seele in christlicher Hoffnung, sein Werk wird noch lange die Heilige Schrift erhellen.
Prof. Dr. Holger Gzella
Nachruf der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg